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POPSPIRITUELLE PHYSIK

„Und noch so viele Meditationen oder Bemühungen oder Reinigungen werden niemals die Illusion des >Ich< zerstören, weil all die Bemühungen und Versuche, die Illusion des >Ich< zu zerstören, nur dazu dienen, das >Ich-en< zu verstärken. (…) Und wenn ich dir vorschlage, mit dem Suchen aufzuhören, verstärke ich ebenfalls die Idee, dass es dort drinnen jemand gäbe. (…) Und das ist Erwachen – die Erkenntnis, dass keiner da ist, der erwachen könnte. Die Befreiung taucht auf, wenn entdeckt wird, dass keiner da ist, der befreit werden müsste.“ Tony Parsons: DAS IST ES (2003)

Markolf H. Niemz: „SICH SELBST VERLIEREN UND ALLES GEWINNEN“ (2015)

POEMiE.de-Amazon-Rezension Nr.55 (1 Stern)

POPSPIRITUELLE PHYSIK: DER LICHTSPEICHERGOTT & DIE URKRAFT LIEBE

„Weder Philosophen, noch Psychologen, noch Hirnforscher haben das Geheimnis des Ich[s] bis heute lüften können. Physikern wird das auch nicht gelingen, zumal das Ich gar kein Gegenstand der Physik ist. Dennoch können Physiker zu dieser Diskussion beitragen, vor allem dann, wenn es um das Aufdecken von Zusammenhängen geht. (…) Die wichtigste Botschaft der Quantentheorie lautet nämlich, dass wir in dieser Welt keine unbeteiligten Zuschauer sind. Jeder Beobachter ist untrennbar mit seiner Umgebung verbunden. (…) Das Ich und die Natur bilden eine untrennbare, sich entwickelnde Einheit. Deshalb ist das PERSONALE Ich – das Ich als eigene Identität – eine Illusion. (…) Das Ich kann bloß als Verb umschrieben werden, nämlich als das Wechselwirken eines Körpers mit seiner Umgebung. Ich bin ein Agieren und ein Reagieren. Demnach ist das Ich tatsächlich ein Prozess.“ (Seiten 50+51)

Im Supermarkt der Popspiritualität entdeckte ich in den letzten Jahren bereits zahlreiche groteske Produkte in den untersten Reihen völlig verstaubter Regale der dunkelsten Ecken von schmuddeligen Shopping Malls, wo die Neonröhren nur knistern und flackern wie in einem Horrorfilm. Bei der Durchsicht aller Buchtitel des vorliegenden Autors entstand instinktiv das Gefühl, das bei ihm eigentlich nur in diversen Variationen die Ego-basierte Ekstase der Erleuchtung entstaubt wird – und anscheinend sogar gut vermarktet! Als einziges einigermaßen interessantes Werk des Herrn Professors Markolf Niemz schien mir das hier besprochene Buch „SICH SELBST VERLIEREN UND ALLES GEWINNEN“ von 2015 prüfenswert, da es immerhin ein Kapitel über das Ich als Verb statt Subjekt enthält. Diese neurogrammatische Idee ist nicht neu, findet sich schon 1966 im Klassiker „DIE ILLUSION DES ICH“ von Alan Watts, und wurde erst letztens vom Neuropsychologen Dr. Chris Niebauer in seinem Buch „KEIN ICH, KEIN PROBLEM“ (2019/2020) wieder aufgewärmt. Aber weder dieser Doktor noch der hier vorliegende Professor erwähnen den legendären Religionsphilosoph (1915-1973), dessen Todestag sich 2023 zum 50.Mal jährt. Stattdessen kriecht Gott hier wieder durch die Hintertür in die Physik und verschafft sogar der Kirche eine neue Plattform, um wieder attraktiv zu werden: „Die intensive Beschäftigung mit Natur macht gläubig“, antwortet Markolf Niemz im sogenannten Talk auf Seite 165 und verströmt seine Begeisterung für das Christentum als vermeintliche Religion der Liebe. Und da die Liebe seiner als Thesen getarnter Meinung nach die von der Physik angeblich gesuchte Urkraft sei, ergänzen sich die Urknalltheorie und der Glaube an einen „fühlenden und lernenden Gott“ in seinem Weltbild hervorragend. Die scheinbare Logik seiner Argumente führt dann automatisch zur Selbsteuphorisierung und mündet im buddhistischen Kitsch der zwanghaften Achtsamkeit, wenn er behauptet: „Achtsamkeit ist der Schlüssel, um sich mit allem verbunden zu fühlen.“ (Seite 169) Spätestens jetzt muss jedem nondualistischen Leser auffallen, dass Niemz ein geschickter Vertreter der allgemeinen evolutionären Erleuchtungstheorie (AEET) ist, die dem Ich suggeriert, sich nur genug anstrengen zu müssen, um die nächste Ebene zu erreichen, bis es seine eigene Illusion überwindet, um im Hier und Jetzt anzukommen, wo es sich endlich „mit allem verbunden“ fühlt. Dieses Paradoxon aus Anstrengung & Achtsamkeit durchzieht die gesamte Tradition spiritueller Richtungen als Erleuchtungssport des Glück-suchenden Ichs, das seine eigene Glückseligkeit nie erreichen kann, weil leider auch das Verbundenheitsgefühl ein getrenntes Ich voraussetzt, das sich mit etwas anderem als sich selbst verbindet. Vernetzung von Information ist für Professor Niemz das digitale Gebot der Stunde, in welchem sich das Gebet der Sterne wiederspiegelt. Das Universum gleicht darin dem Mitgefühl der angeblich nachgewiesenen Spiegelneurone, die außerdem dafür verantwortlich sein sollen, dass Sonnenblumen zur Sonne schauen. Aber warum überhaupt auf der siebten oder achten Ebene hängenbleiben? Springen wir doch sofort auf die zehnte Ebene, wo sich nicht nur das personale Ich, sondern auch das prozessuale Ich (vgl. Seite 51) endgültig für immer verabschiedet hat, um diese „fühlende und lernende“ Selbstbewusstheit der Natur sich selbst zu überlassen. Hier ärgert sich niemand mehr über wortakrobatische Zirkelschlüsse, mithilfe derer sogar die SEELE als intellektuales Konstrukt gerettet wird, indem sie zunächst als Liebe und Erkenntnis definiert wird, dann aber wie ein Gefäß mit diesen Zutaten angefüllt wird, aus denen sie bereits bestünde (vgl. Seite 52). Mit dieser hypnotischen Pseudologik kaschiert der Autor im gesamten Buch, dass er sich selber nicht entscheiden kann, ob er nun ganz Natur sein möchte oder doch lieber ein separates Ego, das sein Glück in den selbsterfundenen höchsten Werten sucht und dabei unzählige Leser mit in den Sekten-ähnlichen Abgrund reißt; denn das gesamte Programm des „Loslassens“ (vgl. Seite 111) ist nur ein Aufwärmen des Ego-basierten spirituellen Leistungsdrucks, den schon berühmte gutmeinende Gurus mit Helfersyndrom vor Niemz verzapften. Auch Buddha und Jesus sind damals in diese Falle der psychotischen Dissoziation getappt, bevor sie kapierten: Da ist niemand zum Verlieren (Loslassen) und Verbinden (Bewusstwerden), zum Einswerden und Ankommen. Es war nur die Illusion des Ichs, einen Weg zur Erleuchtung gehen zu müssen, indem es immer besser, tiefer und vollkommener fühlt und lernt, sich als Natur zu empfinden. Wo niemand ist, fühlt sich die Natur einfach selbst. Das Universum muss nicht bei sich selbst ankommen. Ein Fels in der Brandung hat kein Ich, das zu sich selber sagt „ich bin der Fels, der von Brandung umspült wird“. Der Fels IST einfach der Fels in der Brandung. Markolf Niemz behauptet:

„Je intensiver ich die Natur liebe, umso tiefer weiht sie mich in ihre Geheimnisse ein und umso unwesentlicher werde ich. Der finale Schritt auf dem Weg zur Erleuchtung ist LOSLASSEN. Indem ich mich komplett zurücknehme, wird der Weg frei für einen Zustand völliger Bewusstheit. Sich selbst verlieren und alles gewinnen – das ist Erleuchtung.“ (Seite 111)

Aufgrund genau dieses Missverständnisses von Erleuchtung als dem Ziel eines Ich-psychologischen Prozesses fortschreitender Vertiefung und Verfeinerung von Erkenntnis gibt es eine transspirituelle Gegenbewegung von Antigurus wie Tony Parsons, Jed McKenna, Andreas Müller, Pier Zellin (Liga der Leeren) und anderen aus dem Umfeld der Nondualitätsschulen, die deshalb nicht von Erleuchtung sprechen, sondern von Erwachen. Hierbei handelt es sich nicht um ein dualistisches Aufwachen aus einem Traum, so als sei die vom Ich erfahrene Wirklichkeit „nur ein Traum“ (auch solche Vertreter von Pseudonondualität gibt es in der zeitgenössischen Spiriszene, wie z.B. Werner Ablass, siehe auch meine zweite Amazon-Rezension über ihn), sondern im Gegenteil: das Ich war der Traum, die Illusion, die Einbildung, es gäbe da eine Person, eine Instanz, einen Jemand, der die Wirklichkeit erfährt und entwickelt. Aber niemand erwacht, es gibt ebenso wenig „Erwachte“ wie „Erleuchtete“. Das erwachte, oder besser: das wache Sein ist der natürliche Zustand der Natur, die in sich selber ruht. DAS ist der Hauptgewinn, aus dem wir alle bestehen. Während der Physiker-Ich-Anteil (um es psychosynthetisch zu sagen) noch die richtigen Lottozahlen für die Weltformel berechnet, ist unsere WAHR-Nehmung schon immer mit allen Sinnen das geheimnislose Geheimnis selbst. Den Hauptgewinn kann niemand gewinnen, denn jede Zelle ist aus ihm gemacht! Niemand da, der sich dafür erst verlieren muss – kein Niebauer, kein Niemz, kein Niemand…

*Anmerkung des Verfassers der Rezension: die GROSS geschriebenen Wörter in den beiden Zitaten sind im Original nicht groß, sondern KURSIV

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